Zum Hauptinhalt springen

Zum Konzert am 17. 5. 2003
Manche Momente läßt man sich gern stehlen
Die Frankfurter Gruppe "Ladies`Choice" mit neuem Programm in der Romanfabrik

"Stolen Moments" heißt das neue Programm von "Ladies`Choice" mit dem Bassisten Andi Janik. Schwarz, Rot, Blond, das sind nicht nur die Haartönungen der drei Frankfurter Sängerinnen Carmen Mikovic, Jenny Renate Wicke und Lilli Werner. Ihre stärksten Momente hatten "Ladies`Choice" bei ihrem Auftritt in der Romanfabrik, wenn die Nummern ins Kabarettistische glitten: kleine musikalische Szenen, zu denen Bühnen-Accessoires das skurrile Beiwerk lieferten. Herzzerreißende Geschichten von verliebten Briefmarken, die die Liebkosung des Aufklebers wohl überinterpretiert hatten (geklebt und doch weggeschickt), waren dort zu hören. Doch auch Hochkulturelles fehlte nicht: Heideggers Vorstellung der "zerronnenen Zeit"- eben war sie noch ein Zuhandenes, im gleichen Moment schon ist sie entgegenwärtigt- wurde zitiert. Ein vielseitiger Spaß, zu dem alle Mitglieder des Ensembles ihre Talente einbringen konnten: Lilli Werner mit ihrer Fähigkeit Texte zu sprechen, Jenny Wicke mit ausgebildetem Sopran und Karmen Mikovic mit jazzig warm phrasierendem Gesang. Janik zupfte dazu lässig unaufdringlich den Baß.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. 5. 2003 - Christian Hoesch


Zur Lesung am 16. 5. 2003
Hans Ulrich Treichel: Der irdische Amor
Ostwestfalens Italien

Lesung mit Hans-Ulrich Treichel "Das meiste ist erfunden. Das Peinlichste habe ich selbst erlebt!, sagt Hans-Ulrich Treichel, der jetzt in der Frankfurter Romanfabrik aus "Der irdische Amor" las. Zwei in Berlin lebende Studenten der Kunstgeschichte, entscheiden sich, nach Rom zu gehen, um dort Italianistik zu studieren. Um ihr Hotelzimmer zu finanzieren, nehmen sie schließlich einen gewissen Pablo als Mitbewohner auf. Als der sich dann als Drogendealer entpuppt, finden sich Albert und Stefan bald in Schlafanzug und Handschellen in einem Gefängnistransporter wieder. Albert, der meint, in der ihm gegenübersitzenden Polizistin die junge Claudia Cardenale, bloß mit kurzem Haar und Lederjacke, wiederzuerkennen, hat prompt mit unsteuerbaren physischen Reaktionen zu kämpfen, die ihn auch nach seiner Rückkehr nach Berlin nicht verlassen. Was Treichels Roman so kurzweilig gestaltet, sind sein trockener Humor und sein von dreisten Wiederholungen lebender Sprachwitz. Auf die Frage, warum er seine Romanhelden jedes Mal nach Italien schicke, antwortete Hans-Ulrich Treichel, in "Tristanakkord" habe er einen Studenten nach Sardinien geschickt. Das sei nicht Italien, sondern "so etwas wie das Ostwestfalen Italiens: regnerisch, schweigsam, karg und acht Stunden vom Rest der Welt entfernt".

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. 5. 2003 - lubr.


Zur Vernissage und Lesung am 6. 5. 2003
Johannes Muggenthaler: Regen und andere Niederschläge
Alle Erfindungen vergessen

Johannes Muggenthaler mit Niederschlägen und falscher Inderin in der Romanfabrik. Wie hoch der Heidelberg ist, erfuhr man nicht auf Johannes Muggenthalers Lesung in der Romanfabrik. Dafür sollte die seinem im Weidle Verlag erschienenen Roman Regen und andere Niederschläge oder Die falsche Inderin angehängte Lösung des Welträtsels, verfasst vom Guru Swami Jaroslav Prem aus Chandravati, tatsächlich auch in den ganz großen Fragen für Klarheit sorgen. "Schritt für Schritt müssen alle Erfindungen wieder vergessen werden", heißt es da. Was das mit dem Installationsmeister Ludwig Liebknecht, der Hauptfigur von Muggenthalers Roman zu tun hat? Das ist in aller Kürze schwer zu erklären, darum nur so soviel: Herr Liebknecht glaubt, den Liebhaber seiner Frau ermordet zu haben (in Wahrheit war das Opfer ein Irrtum). Er wechselt seine Identität, verwandelt sich in den Komponisten Silvio Parsefal, zieht in den Stadtteil Aschenfrost, beginnt sich für seine Nachbarin zu interessieren, die falsche Inderin eben, die eigentlich aus Heidelberg kommt. Die falsche Inderin ist es auch, die Silvio von Swami Jaroslav Prem erzählt, der erstaunt darüber ist, dass die Welt ihn kennt, nicht aber er die Welt kennt. Womit wir wieder am Anfang wären. Nein, nicht ganz: Denn ob es in dieser Groteske überhaupt und wenn ja, wo, einen Anfang gibt und ob ein Ende, muss nach dieser unterhaltsamen Lesung offen bleiben. Johannes Muggenthaler ist eigentlich eher Fotograf denn als Schriftsteller bekannt. Das könnte sich ändern. Seinen Roman jedenfalls hat er mit Fotografien ausgestattet, die mit dem Text bestimmt nichts zu tun haben. Und doch genau dorthinein passen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. 5. 2003 - Christof Schröder


Zur Lesung am 1. 4. 2003
Unter Bundschatten

Axel Brauns liest in der Romanfabrik Nachrichten aus einer anderen Welt "Wischeln", "dingeln" und "lichteln" sind lehrreiche Beschäftigungen für einen Dreijährigen, dem alle Gegenstände ihre Präsenz wuchtig anzeigen. Eine Heizung "begrüßt" ihn, Häuser "erfreuen ihn mit Anwesenheit". Es fällt ihm aber schwer, andere Menschen wahrzunehmen, Ihre Gesichter dampfen vor ihm "als würden Sie gerade asphaltiert". Sind sie gutartig, nennt er sie "Bundschatten". Die übrigen tauchen als "Fledermäuse" auf. So beschreibt Axel Brauns den "Grundriss" einer autistischen Existenz am Beispiel seiner eigenen Person. "Autisten haben keine Eltern", erklärte Brauns, da ihnen das Gefühl der Liebe nicht plausibel ist. Wegen ihm hätte man die "Haha" ruhig austauschen können. Das sagte ein von Heiterkeit erhobener, kolossal wirkender Herr von fast 40 Jahren.

Frankfurter Rundschau vom 7. 4. 2003 - Jamal Tuschik


Zum Konzert am 10.3.2003
Auch Wecker wird alt

Dass sich Wecker gerne einmischt in die große Weltpolitik, weiß man nicht erst seit seiner umstrittenen Bagdad- Reise. "Kriege sind ein Bombengeschäft", singt er. Und: "Ungehorsam und Zivilcourage sind nun mal die wirkungsvollste Waffe einer Demokratie und ihr unerlässliches Regulativ." Klar, dass sich das Publikum solchen Botschaften anschließt und heftig applaudiert. Doch es gibt auch eine andere Seite Weckers, die sich in seinen intimeren Stücken offenbart, in denen er zum Beispiel über Midlife-Crisis und Selbstfindung sinniert. In solchen Momenten merkt man, dass Wecker wahrscheinlich nicht alles richtig gemacht hat im Leben, dass es Probleme und Brüche gab. Die kehrt aber nicht unter den Tisch, sondern er setzt sich mit ihnen auseinander - in einer Sprache, die so herrlich poetisch ist, dass man Konstantin Wecker noch immer gerne zuhört.

Frankfurter Neue Presse vom 12. 3. 2003 - car.


Zur Szenischen Lesung am 18. 2. 2003
Herzlichkeit Literatur als Begegnung

"Hand in Hand" hieß die Veranstaltung in der Romanfabrik. So allerdings kamen die aus Saudiarabien gebürtige Palästinenserin Ghada Hammoudah und die im israelischen Tiberias geborene Daphna Rosenthal nicht auf die Bühne. Vielmehr eröffneten die Schauspielerinnen, die sich per Annonce fanden, ihre "Begegnung" mit einem theatralischen Streit, dem ein versöhnliches Ende vorgeschrieben war. Die Vortragskünstlerinnen überzeugten mit einer famosen Auswahl junger palästinensischer Literatur, so von Etgar Keret, Gassan Kanafaani, Jehuda Amichai und Alona Kimbi, die mit Die weinende Susanna weltweit Furore machte. Sie schrieb "Kulturen befinden sich nicht im Kriegszustand" und "die Poesie kann niemals Verbündete des Krieges sein". Das kam einer Antwort auf die Frage nahe, mit der Michael Hohmann die inszenierte Lesung eingeleitet hatte: "Was vermag Literatur im Konflikt zwischen Israel und Palästina?"

Frankfurter Rundschau vom 20. 2. 2003 - Jamal Tuschik


Zur Lesung am 28. 1. 2003
F. K. Waechter lässt Märchen hoch leben

In der Frankfurter Romanfabrik machte F. K. Waechter eine kleine Lesung zum heimlichen Theaterabend. Im Anfang war das Grimmsche Wort, und das Wort war bei Waechter: "Der singende Knochen", ein glorioser Auftakt dieser Lesung samt Lesetour durch halb Europa. ...die Geschichte vom wilden Schwein, der Königstochter und dem nach dem Tod singenden Knochen des guten Bruders, den der böse ermordet hat. ...Waechter nahm als Figürchen aus der Schublade die Requisiten eines zünftig italophilen Haushalts: eine "Magbeth"- würdige Story von Verrat und Schlächterei mit zwei Fläschchen fürs Bruderpaar, Likörgläschen als Prinzessin, Würfel als Bauern, König aus Bronze. Da erschlug der böse Boff (Campari- Soda) den guten Plip (Likör), dass die Glassplitter flogen, und Waechter sang so unfertig stark wie Wolf Biermann ("...am Le-he-ben ließ...") seine Carpe-diem-Weisheiten des niederen Volks ("Rot, Kameraden, ist der Saft/der unseren Fidelbogen strafft"). Theater-Anarchie, du lebest hoch!

Frankfurter Rundschau vom 31. 1. 2003 - Marcus Hladek